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Table of contents:

 

Ad-hoc-Dolmetschen im Gesundheitswesen: Eine Einführung

Auch wenn es in der Europäischen Union tatsächlich nur 23 Amtssprachen gibt, ist allgemein bekannt, dass in den meisten europäischen Ländern hunderte von verschiedenen Sprachen von Menschen unterschiedlicher ethnisierter Gruppen gesprochen werden. Aufgrund dieser Diversität kommt es bei einem beachtlichen Teil ärztlicher Beratungsgespräche zu einer Interaktion zwischen ÄrztInnen/Pflegepersonal und Menschen aus migrierten Communitys, die eine Vielzahl von Sprachen sprechen und unterschiedlichste kulturelle Hintergründe haben. Untersuchungen haben deutlich gezeigt, dass in solchen interkulturellen medizinischen Beratungsgesprächen der Kommunikationsprozess häufig mangelhaft ist: Fehlkommunikation und Missverständnisse sind an der Tagesordnung und PatientInnen sind oft unzufrieden mit der Betreuung, die sie erhalten. Letztendlich kann die mangelhafte Qualität des Kommunikationsprozesses negative Folgen für die Gesundheit derer haben, die einen anderen sprachlichen und kulturellen Hintergrund haben als ihr Arzt oder ihre Ärztin. Um hier Abhilfe zu schaffen, braucht es dringend Strategien zur Verbesserung des Kommunikationsprozesses zwischen Gesundheitspersonal und PatientInnen. Eine mögliche Strategie ist die Förderung und Stärkung sprachlicher und kultureller Kompetenzen bei den MitarbeiterInnen im Gesundheitswesen und den Familienangehörigen, die bei ärztlichen Beratungsgesprächen mit zugewanderten PatientInnen als Ad-hoc-DolmetscherInnen einspringen.

Während eines zweijährigen Erfahrungsaustauschprozesses haben sich MitarbeiterInnen im Gesundheitsbereich, WissenschaftlerInnen, Fachleute aus dem öffentlichen Gesundheitswesen und Ad-hoc-DolmetscherInnen in Gesprächsrunden, Vorträgen, Workshops usw. mit der Theorie und der Praxis des Spontandolmetschens im Gesundheitswesen auseinander gesetzt. Es wurden die unterschiedlichen Blickwinkel in Bezug auf Ad-hoc-Dolmetschen untersucht und bereits bestehende Praxen in einigen europäischen Ballungsräumen erforscht. Die Ergebnisse dieser Auseinandersetzung wurden in sieben Textbeiträgen zusammengefasst, die jeweils unterschiedliche Aspekte der Problematik des Ad-hoc-Dolmetschens beleuchten. In Akgul Baylavs Beitrag zur “Rolle des mehrsprachigen Advocacy-Service in der Kommunikation” wird der konzeptionelle Unterschied zwischen Spontandolmetschen und zweisprachiger Interessenvertretung aufgezeigt und beschrieben. Hauptargument der Autorin ist, dass zweisprachige InteressenvertreterInnen im Gesundheitsbereich dazu beitragen können, das Machtgefälle zwischen PatientInnen und MitarbeiterInnen im Gesundheitswesen zu überbrücken, und dass der medizinische Advocacy-Service unverzichtbar ist, wenn es darum geht, solchen PatientInnen, die nicht dieselbe Sprache sprechen und einen anderen kulturellen Hintergrund haben als das medizinische Personal, eine qualitativ hochwertige medizinische Betreuung zu bieten. Im zweiten Beitrag zur “Position des Arztes/der Ärztin in mehrsprachigen Kommunikationssituationen” skizziert Hans Harmsen, wie wichtig es für ÄrztInnen ist, sich der kulturellen Unterschiede zu PatientInnen mit einem nicht-westlichen Hinergrund bewusst zu sein. Abgesehen davon, dass sie Sprachbarrieren aus dem Weg räumen müssen, wozu sie die Unterstützung eines Dolmetschers brauchen, haben ÄrztInnen die Pflicht, sensibel für interkulturelle Unterschiede zu sein. Durch einen Sensibilisierungsprozess können sich ÄrztInnen besser mit ihren PatientInnen verständigen und infolgedessen eine bessere medizinische Betreuung bieten. Bernd Meyers Beitrag zu “Ad-hoc-Dolmetschen im Krankenhaus” beginnt mit dem Fallbeispiel eines türkischen Patienten in einem deutschen Krankenhaus und illustriert die recht weit verbreitete Praxis des Ad-hoc-Dolmetschens im Gesundheitswesen und den Mangel an Strategien, wenn es darum geht, die sprachlichen Kompetenzen von DolmetscherInnen zu nutzen. Er spricht sich für die Einführung von Maßnahmen zur Unterstützung der sprachlichen Rechte von PatientInnen mit Migrationshintergrund aus und beendet seinen Beitrag mit einer Reihe von Empfehlungen, wie diese entwickelt werden könnten. Ortrun Kliche betont in ihrem Beitrag zur “Fortbildung für Ad-hoc-DolmetscherInnen im Gesundheitswesen”, dass zur Verbesserung der Qualität gedolmetschter Gespräche Ad-hoc-DolmetscherInnen die Möglichkeit haben sollten, eine ordentliche Fortbildung zu bekommen. Sie beschreibt die unterschiedlichen Aspekte, die eine solche Fortbildung beinhalten könnte, bespielsweise den Erfahrungsaustausch, das Empowerment von DolmetscherInnen sowie die Methode des Forum Theaters. Der Beitrag von Frances Rifkin und John Eversley zum „Forum Theater” beschreibt diese letztgenannte Methode ausführlicher. Die AutorInnen legen den theoretischen Hintergrund und die Grundgedanken des Forum Theater dar und geben eine kurze Zusammenfassung, wie dieses „Theater der Unterdrückten“ in der Praxis aussieht. Die tatsächliche Anwendung des Forum Theatre in der Praxis wird in dem Beitrag von Trish Greenhalgh und KollegInnen dargelegt: „Wissenschaft und Kunst des Laiendolmetschens: Der Einsatz des Mediums Forum-Theater, um dolmetschenden Kindern eine Stimme zu geben”. In diesem Beitrag werden die Ergebnisse eines internationalen Workshops, bei dem Kinder/Jugendliche ihre Erfahrungen als Ad-hoc-DolmetscherInnen szenisch umsetzen konnten, beschrieben und reflektiert. Last but not least gibt Ludwien Meeuwesens Beitrag “Welche Forschungsmethoden eignen sich zur Förderung zweisprachiger und interkultureller Kompetenzen im Gesundheitswesen?” einen anschaulichen Überblick der Forschungsmethoden, die in der Erforschung der Förderung zweisprachiger und interkultureller Kompetenzen im Gesundheitswesen eingesetzt werden können. Sie beendet ihren Beitrag mit der Aussage, dass das Ziel des Projektes und die spezifische Frage, die dabei beantwortet werden soll, ein Hauptkriterium für die Entscheidung für eine bestimmte Forschungsmethode sein sollte.

Insgesamt beleuchten die hier präsentierten sieben Beiträge diverse wichtige Aspekte der Theorie und Praxis des Ad-hoc-Dolmetschens und verdeutlichen die damit verbundenen Probleme. Sie zeigen auch auf, dass es in dieser komplexen Angelegenheit keine einfachen Antworten gibt und dass jede gewonnene Antwort weitere Fragen nach sich ziehen kann. Daher ist die Suche nach Erkenntnissen, Einblicken und Erfahrungen hiermit noch längst nicht zuende. Hoffentlich wird das BICOM-Projekt in dieser Hinsicht als Ausgangspunkt betrachtet und andere dazu anregen, sich dieser Sache anzunehmen und auf die Informationen aufzubauen, die in den letzten beiden Jahren gesammelt wurden. Eines ist allerdings ganz deutlich geworden: um die Qualität der medizinischen Betreuung für zugewanderte PatientInnen zu verbessern, müssen alle Parteien im Dreieck PatientIn-ÄrztIn-DolmetscherIn berücksichtigt werden. So scheint es, dass in diesem besonderen Fall Nietzsche Unrecht hatte, als er behauptete, es bräuchte zwei zur Wahrheit. Es braucht drei.

Barbara Schouten, Juni 2007